Freitag, 29 März 2024

Leidenschaft on Ice

Martin Schrodt war ein preisgekrönter Architekt. Bis ihm die Sache mit dem selbst designten Schleck-Genuss nicht mehr aus dem Sinn ging.

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Vom Architekten zum Eismacher: Martin Schrodt hat sich seinen Traum erfüllt.

Sein Name ist Schrodt! Martin Schrodt! Und er ist unter Fachleuten wahrlich kein Unbekannter. Zunächst einmal allerdings eher bei den Fachleuten in der deutschen und auch internationalen Architektenszene. Er wurde mehrfach ausgezeichnet mit renommierten Design- und Innovationspreisen und hatte Kunden, die ihm und seinem Wissen um das außergewöhnlich Realisierbare seit Jahrzehnten vertrauen. Er war und ist eben einer von der Sorte, in dem die Flamme des Visionären, der Planens und Machens über viele Jahre lichterloh brannte.

Nun aber ist es an der Zeit, von einem bedeutsamen Bruch zu berichten. Oder vielleicht auch von einem mutigen Wechsel auf die Gegenfahrbahn des Lebens. Nicht als gefährlicher Geisterfahrer, sondern irgendwie auf einer ganz individuellen Überholspur. Nun ist es Zeit, auf „Gelato“, also auf Speise-Eis zu sprechen zu kommen. Denn der Hemeraner Martin Schrodt ist seit einigen Monaten ein – offensichtlich spät, aber zum Glück nicht zu spät berufener – „Gelatiere“, also ein Eismacher geworden. Und zwar einer der alten italienischen Schule. Mit unterschiedlichsten Diplomen und beruflichen Zertifizierungen von höchster italienischer und deutscher Stelle.

Icefactum heißt der neue Stern, der also aus einer architektonischen Kernschmelze hervorgegangen ist und der jetzt von ihm mit der Schrodt-eigenen Intensität und Zielstrebigkeit besiedelt wird. Martin Schrodt: „Icefactum ist eine Bio-Eismanufaktur, die sich der Tradition und Innovation gleichermaßen verpflichtet fühlt.“ Dazu erst einmal ein kurzer Rückblick: Martin Schrodt machte vor knapp zwei Jahren auf der Eisfachschule bei Uwe Koch in Werl seinen ersten Lehrgang mit. Eine Woche erst einmal zum Reinschnuppern. „Das war gut, aber mir war schnell klar, dass da noch viel mehr sein musste.“ Der nächste Schritt: eine Einschreibung bei der „Carpigiani Gelato University“ in Bologna, eine weltweit einmalige Lehr- und Lern-Institution, die seit 15 Jahren existiert und sich großer und sogar steigender Nachfrage von allen Kontinenten erfreut. In seinem Kurs versuchten sich neben dem Hemeraner übrigens angehende Kolleginnen und Kollegen aus Brasilien, Kuwait, Indonesien und Amerika. „In allen meinen Kursen war ich der einzige Deutsche.“ Und natürlich gibt es auch einen ordentlichen deutschen Handwerksabschluss: „Die Prüfung zum Speiseeishersteller habe ich bei der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main abgelegt.“

Schon in seinem ersten Berufsleben stand Martin Schrodt für Qualität, Intensität in der Auseinandersetzung mit den Kunden und Materie. Und er kann das, was er will und denkt, auch wortgewaltig und einprägsam rüberbringen. Zeit also für ein paar Schrodt‘sche Grundgedanken zum Thema Eis. Vor allem Gedanken aus der von ihm bevorzugten italienischen Sicht, die ja offenbar so ganz anders ist als die deutsche. „Wir Deutschen essen unser Eis, oder was wir dafür halten, vermutlich, weil es uns schmeckt – und weil wir es nicht besser wissen. Denn wir ahnen ja eben nicht einmal, wie es wirklich schmecken könnte. Der Italiener hingegen zelebriert seinen Eisgenuss, macht sich, wenn es sein soll, auch schon mal auf bis ,in the middle of nowhere‘, also bis zum ,Allerwertesten der Welt‘, um sich dann
genießend zu erfreuen.“

Schrodt berichtet von Lucca Cantarin, einem dekorierten Eis-Meister weit außerhalb von Padua, zu dem die Menschen viele Kilometer für eine gefrorene Künstler-Kugel pilgern. „80 Plätze, tolle Qualität. Der macht einfach alles richtig.“ Zumal die italienischen Kollegen auch mit einem hohen Maß an Selbstbewusstsein ausgestattet zu sein scheinen. „Die verstehen sich schon in der Liga mit den Spitzenköchen.“ Und da sieht sich zukünftig eben auch Martin Schrodt: „Kaum einer weiß doch, dass Eis eigentlich bis zu seiner Mutation zur Discountware immer ein Luxusprodukt war, der Genuss für die
bessere Gesellschaft.“

Doch bei allen künstlerisch-kreativen Ansätzen – Martin Schrodt hat inzwischen auch verinnerlicht oder, besser gesagt, verinnerlichen müssen, dass das Eismachen auch ein echtes Handwerk und eine Wissenschaft für sich ist. „Ich habe anfangs gedacht“, sagt Schrodt, „ich sitze jetzt bei meinen Lehrgängen wieder in einem Mathe-Leistungskurs. Was ich ja eigentlich niemals wollte.“ Natürlich könne man sich auch geschmacklich selbst rantasten, aber dazu müsse man eben auch zunächst einmal seine eigene Sensorik stählen. Und auch das könne und müsse man – wenn auch wieder wissenschaftlich unterfüttert – durchaus üben. 

Noch ein Thema: die Verpackung, wenn es denn kein Hörnchen sein soll. Kann man so etwas wie einen normalen Papp-Eisbecher neu erfinden? „Einen normalen vielleicht nicht“, sagt Martin Schrodt, „einen außergewöhnlichen aber schon.“ Man kann ihn – gefühlt – weicher machen, geschmeidiger, wertiger, von den Farben her eleganter. Mit Farben, die eine korrespondierende Geschichte zum Inhalt erzählen. Und zwar so eindrucksvoll, dass der Icefactum-Becher ruckzuck, ohne ein Gramm Eis jemals in sich gespürt zu haben, bereits für internationale Designpreise nominiert wurde. Und die er dann –
natürlich – auch bekommen hat.

Und dann sind da noch die aktuellen Life-style-Themen „Bio“ und „Vegan“. Schrodt wäre nicht Schrodt, wenn er das nicht bereits auf seine Weise konsequent abgehakt hätte. Natürlich liegen beide Zertifizierungen inzwischen vor. Wobei der Betrachter sehr schnell und nicht schlecht staunend in die beinharte Realität der deutschen Lebensmittelwelt gerückt wird. Wer den Ordner sieht, in dem sich die Bio-Zertifikate der letzten Lieferung, Piemonteser Haselnüsse bzw. deren Extrakte, befinden, muss erkennen, dass Last-Minute-Ausfuhrpapiere für eine Rinderherde nach England vermutlich auch nicht umfangreicher sein könnten. Doch damit nicht genug: Wer einen Blick in das Schrodt‘sche Eis-Labor wirft, muss zudem erkennen, dass es in Bezug auf Hygiene und Technik vermutlich von einer modernen Zahnarztpraxis nicht wesentlich abweicht. Edelstahl vom Boden bis zur Decke, technische Gerätschaften, die man eher in einem Spaceshuttle als in einem Eis-Labor vermuten würde, glänzende Kühleinheiten für
konsequente Schwerstarbeiten.

Bleibt noch die Frage, ob sich Martin Schrodt bei aller Liebe zu seinen Produkten von ihnen auch trennen kann, also sie verkaufen möchte. Da hat es wohl in der jüngeren Geschichte den einzigen kleinen, aber wohlüberlegten Kurswechsel gegeben. War zunächst der Plan, dem gehobenen Lebensmitteleinzelhandel ein
außergewöhnliches Qualitätsprodukt anzubieten, so ist das Konzept heute, den Markt zusammen mit Top-Caterern, an der Seite von Event-Veranstaltern und eben bei ganz speziellen gesellschaftlichen
Gelegenheiten, zu erobern. 

Erschienen in: TOP MAGAZIN SAUERLAND 1/2019