Der Wahnsinn, der sich Modeln nennt
Als Model reist Aline Meixner um die Welt. Sie shootet an exklusiven Orten, für große Namen der Branche. Mal für Modelabels, mal für Kosmetikmarken, häufig in sexy Dessous. Jetzt hat die Bonnerin ein Buch geschrieben, über den Wahnsinn, der sich Modeln nennt. Mit Top Magazin sprach sie über aufdringliche Booker, übertriebene Schönheitsideale und warum sie klassischen Fotomodellen eine Eiszeit voraussagt.
In ihrem Elternhaus stapeln sich die Herrenmagazine. Auf dem Cover: eine attraktive Brünette, leicht bekleidet,
mit verführerischem Augenaufschlag. Aline Meixner ist ein Model der sexy Sorte. Mit Kurven an den richtigen Stellen. Und einem Master in der Tasche, von einer der renommiertesten Business Schools Europas.
Top: Als Model bist Du unheimlich viel unterwegs.
Aline Meixner: Absolut. In den letzten Jahren war ich selten länger als fünf Tage am Stück an einem Ort, mein Alibi-Zuhause in Hamburg eingeschlossen. Rund 10 von 12 Monaten lebe ich aus dem Koffer. Dafür war ich schon an unheimlich vielen schönen Spots, an die ich ohne den Job niemals gekommen wäre.
Top: Urlaub ist das aber nicht.
Aline Meixner: Im Gegenteil. Häufig gilt sogar: Je exotischer der Ort, desto früher klingelt der Wecker. Wenn man zum Beispiel auf den Malediven oder Seychellen shootet, muss unbedingt die Morgensonne ausgenutzt werden. Ab 11 Uhr bis in den Nachmittag hinein sind die Lichtverhältnisse nicht optimal. Das heißt, ich muss um drei Uhr aufstehen, damit bis Sonnenaufgang alles vorbereitet ist. In der Mittagszeit muss ich dann ausharren und aufpassen, dass ich Haare und Make-up nicht zerstöre. Schlafen fällt also flach. Irgendwelche Unternehmungen auch. Sonnenbaden am Strand sowieso. Ich darf ja keine Tan Lines riskieren. Das heißt: Ich stehe meistens nur rum und warte, bis es am Nachmittag weitergeht. Häufig sind das 16-Stunden-Tage.
Top: Was sind denn die schönsten Seiten Deines Jobs?
Aline Meixner: Das Reisen, klar. Die spannenden Dinge, die man erlebt, die tollen Leute, die man kennenlernt. Aber auch die Selbstständigkeit, die Freiheit, mir meine Arbeit so einzuteilen, wie ich es möchte. Das ist ein Privileg. Außerdem ist es einfach schön, schön gefunden zu werden. Auch wenn das niemand offen zugeben mag. Wir suchen doch alle nach Bestätigung. Ich weiß, dass es in meinem Job eine trügerische und oberflächliche Anerkennung ist. Dennoch ist es ein schönes Gefühl.
Es ist jedoch ein Trugschluss zu meinen, dass Modeln dein Selbstbewusstsein stärkt. Das Gegenteil ist der Fall. Als Model erfährst du unheimlich viel Ablehnung. Ständig wird an dir rumkritisiert und jedes Detail genauestens unter die Lupe genommen. Dir werden Fehler an deinem Körper aufgezeigt, von denen du nicht mal wusstest, dass sie existieren können. Vom kleinen Zeh, der nicht gerade genug ist, über eine Ader in der Kniekehle bis hin zu meinen Ohren, die einem Kunden anscheinend zu groß waren. Die Branche ist halt wahnsinnig oberflächlich.
Top: Und selbst an den schönsten Models wird dann noch ordentlich rumretuschiert.
Aline Meixner: Das stimmt. Da sollte man meinen, dass es egal ist, wie das Model im natürlichen Zustand aussieht. Ich frage mich manchmal, warum der ganze Aufwand betrieben wird, mit Frisur, Make-up und all den anderen Optimierungen, wenn dann in der Post-Produktion eh noch alles bearbeitet wird. Die Möglichkeiten sind ja mittlerweile unendlich. Wie häufig höre ich beim Shooting: „Ach, die Haarsträhne… das machen wir in der Post.“
Top: Erkennst Du Dich manchmal auf Bildern nicht wieder?
Aline Meixner: Das kommt vor, ja. Einmal war ich auf dem Cover eines spanischen Lifestylemagazins. Als meine Mutter meinem Vater das Bild gezeigt hat, meinte der nur: „Ja, schön Schatz.“ Sie dann: „Das ist deine Tochter!“ Das wollte er gar nicht glauben. Manchmal trifft das Styling oder die Bearbeitung auch einfach nicht deinen Geschmack. Es gibt so schlimme Fotos von mir. Gewöhnungsbedürftig finde ich zum Beispiel die Bilder für den chinesischen Markt. Da muss man aber uneitel sein und einfach drüber lachen können. Es soll ja nicht mir gefallen, sondern dem Kunden.
Top: Du bist eher zufällig in der Modebranche gelandet. Wie kam es dazu?
Aline Meixner: Ich habe zu dem Zeitpunkt in Zürich studiert und war gerade dabei, meine Thesis zu schreiben. Auf einer Party habe ich dann einen Freund von einem Freund kennengelernt, der Fotograf war. Der meinte: „Hast du mal drüber nachgedacht, Model zu werden?“ Ich habe ihn dann gefragt, ob er bemerkt hat, dass ich ein Gartenzwerg bin, schon 23 und auch nicht super dünn. Er hat trotzdem Potential in mir gesehen und mich zu einem Shooting überredet. Die Fotos hat er dann an eine Agentur geschickt und die haben mich eingeladen – trotz meiner eigentlich nicht modeltauglichen Größe und meines für die Branche schon etwas hohen Einstiegsalters.
Top: Und dann ging es gleich richtig los?
Aline Meixner: Nein. Mein erstes Jahr als Model war wirklich hart. Meine Agentur hat mich erst nach Mailand, dann nach London geschickt. Ich bin von Casting zu Casting gehetzt und habe nur Absagen bekommen. Das ist aber tatsächlich normal. Du kommst da als Neuling zu einem Casting, bei dem 200 bildhübsche, großgewachsene, routinierte Frauen sitzen. Die haben das alles schon tausend Mal gemacht und strahlen ein ganz anderes Selbstbewusstsein aus. Ich musste halt erst lernen, mich richtig zu verkaufen.
Top: Nicht so glamourös, wie man sich das Modelleben vorstellt.
Aline Meixner: Manchmal schon, meistens eher nicht. Zum Modeln gehört eine große Portion Disziplin, genauso wie Reisekostenabrechnungen, Steuererklärungen und Anwaltsbesuche. Sendungen wie „Germanys Next Topmodel“ vermitteln ein absolut unrealistisches Bild des Jobs. Das hat nichts mit dem Modelalltag zu tun. Zum Beispiel folgende Situation: Bei einem Job für einen ganz tollen Kunden sitzen bei GNTM vier Models beim Casting, die alle von einem Chauffeur hingebracht und auch wieder abgeholt werden. Wenn du aber tatsächlich in Mailand oder Paris zu einem Casting kommst, dann triffst du da auf 600 Konkurrentinnen. Du musst die Location ganz alleine finden, mit U-Bahn und Google Maps. Dort angekommen, wartest du auch mal vier Stunden in irgendeinem ungeheizten Treppenhaus. Oder in der prallen Sonne eines Mailänder Innenhofs. Wenn du Pech hast, schaut dich dann noch nicht mal jemand an. Weil der Casting Direktor wegmusste oder einfach keine Lust mehr hatte. Dann kannst du wieder gehen.
Top: Irgendwann hat es für Dich aber doch geklappt.
Aline Meixner: Mein erster großer Modeljob war ein Werbespot für ein medizinisches Kosmetikprodukt. Da hatte ich mir zunächst gar keine Chancen ausgemalt, da ich überhaupt nicht in das gesuchte Profil passte: eine blonde, nahbare, fröhliche Frau zwischen 30 und 35 Jahren. Ich war 25 Jahre alt, hatte dunkelbraune Haare und sah eher aus wie eine sexy Siamkatze. Trotzdem habe ich den Job bekommen. Danach ging es dann richtig los.
Top: Hättest Du damals gerne ein Buch wie Deins gelesen?
Aline Meixner: Absolut. Speziell, weil ich in der schweren Anfangszeit sehr an mir gezweifelt habe. Nach jeder Absage und jeder blöden Begründung dachte ich, mit mir stimmt etwas nicht. Deine Brüste sind zu groß. Deine Hände sind zu maskulin. Heute weiß ich, dass die Casting Direktoren häufig einfach irgendwas sagen. Man verliert schnell den Bezug zur Realität, wenn man sich nur in der Branche bewegt.
Top: Dein Buch soll nicht nur ein realistisches Bild der Branche vermitteln, es soll auch warnen.
Aline Meixner: Die Modelbranche ist sehr hart und männerdominiert. Was hinter den Kulissen alles passiert, ist vielen erst durch die „me too“-Debatte bewusst geworden. In Deutschland läuft es in der Regel fair, korrekt und businessmäßig ab. In Paris, Mailand oder New York sieht das schon anders aus. Da passieren zum Teil sehr unschöne Dinge und viele der betroffenen Models sind einfach noch zu jung, haben nicht das Selbstbewusstsein oder die Möglichkeiten, Nein zu sagen.
Ich habe leider auch entsprechende Erfahrungen gemacht – in New York. Damals bin ich von einer großen Agentur aufgenommen worden, die unter anderem die Victoria‘s-Secret-Models vertritt. Das war für mich eine große Sache. Ich bin also in die USA geflogen, um mich persönlich vorzustellen. Vor Ort bin ich dann einem Booker zugeteilt worden, den ich zunächst sehr nett fand. Auf einer Magazin-Party ist er allerdings aufdringlich geworden und sagte plötzlich: „Dann gehen wir jetzt zu dir ins Hotel.“ Ich bin aus allen Wolken gefallen. Er meinte bloß: „Womit hast du gerechnet? Was glaubst du, wie das hier läuft?“ Ich bin dann natürlich alleine ins Hotel, war anschließend jedoch bei den Bookern der Agentur unten durch. Es kam nichts mehr. Ich habe noch versucht, bei der Agenturchefin, einer resoluten Französin, nachzuhaken – immerhin hatte ich schon ziemlich viel Geld in das Arbeitsvisum, die Reise und andere Formalitäten investiert. Ich dachte, als Frau wäre sie auf meiner Seite. Von wegen.
Top: New York, Mailand, Paris – das geht aktuell natürlich nicht. Was bedeutet Covid-19 für Deinen Modelalltag?
Aline Meixner: Game Over. Im Februar hatte ich noch eine große Produktion in den USA. Anschließend war ich in Marrakesch gebucht. Ich habe jedoch auf meine Mutter gehört und bin nicht geflogen. Zwei Tage später wurde dann der Luftraum ohne Vorankündigung zu gemacht. Ich wäre also in Marokko gestrandet gewesen. Bis Juli habe ich gar nicht mehr gearbeitet. Dann kamen wieder ein paar Anfragen rein. Der Job in Paris, den ich eigentlich gerade shooten sollte, wurde allerdings schon wieder abgesagt. Das geplante Shooting in Island fällt flach, weil ich dort erst mal für 10 Tage in Quarantäne müsste. Schwierige Zeiten, auch für die Modelbranche.
Top: Immerhin hast Du den Lockdown im Frühling produktiv genutzt.
Aline Meixner: Genau, ich habe einfach drauflosgeschrieben. Erst mal ziemlich wirr. Dann lief es irgendwie von alleine, und plötzlich war das Buch fertig. Ich fand es richtig befreiend, mir die ganzen Erlebnisse und Erkenntnisse der vergangenen Jahre von der Seele zu schreiben.
Top: In Deinem Buch sagst Du eine Eiszeit für „klassische“ Fotomodelle voraus. Was steckt dahinter?
Aline Meixner: Wir sind Dinosaurier. Erst waren es Schauspielerinnen und Sängerinnen, die statt eines Models Parfums beworben haben. Jetzt kommen die Influencer. Auf Instagram und Co. können Produkte ganz anders angepriesen werden. Viel subtiler. Mit dem Anschein von Authentizität. Dabei ist das natürlich auch alles eine Illusion. Ich war mal mit einer bekannten Influencerin unterwegs, die auf Instagram einen gesunden, veganen Lebensstil propagiert. Entsprechend war ich überrascht, dass sie Fleisch gegessen und wie ein Schlot geraucht hat. Ganz so krass wird es bestimmt nicht immer sein. Trotzdem ist ein Instagram-Profil genauso inszeniert wie jeder Werbespot.
Auch die Modelbranche selbst hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Die Vielfalt ist größer geworden. Plus-size-Models, Frauen mit Silbermähne, Typen sind gefragt. Mittlerweile wollen Kundinnen einfach keine Anti-Aging-Creme mehr kaufen, die von einem 16-jährigen Mädchen beworben wird. Letztes Jahr hätte ich fast für Nespresso gedreht, war den Verantwortlichen dann aber doch noch etwas zu jung.
Top: George Clooney muss also noch warten. Was war Dein letzter großer Auftrag vor Corona?
Aline Meixner: Ich bin Teil der neuen Douglas-Kampagne für Kylie Jenner Cosmetics, die bald erscheint. Es heißt, dass sie die Models persönlich ausgesucht hat. Da fühle ich mich natürlich geehrt. HS
Makellos – Die Modelbibel
Autorin: Aline Cara Luna Meixner
Verlag: Nova MD GmbH
ISBN: 9783966988636
Preis: 14,90 Euro