KEINE ANGST VOR MAMMUTPROJEKTEN
Fast alle Städte im Sauerland weisen eine interessante Historie und geschichtliche Besonderheiten auf. In Balve allerdings lohnt es sich, noch etwas weiter zurückzublicken als anderswo.
Genau genommen sogar viel weiter, denn mit der Balver Höhle beherbergt die Stadt einen der wichtigsten Fundplätze der Kulturen der mittleren Altsteinzeit in Europa. Fossilien, eiszeitliche Tierknochen sowie steinzeitliche Werkzeuge und Waffen liefern bis heute immer wieder neue Erkenntnisse über frühere Lebenswelten. Unter anderem sind bei Grabungen in der offenen Hallenhöhle Skelette von Mammut und Höhlenbär sowie etwa 40.000 Artefakte gefunden worden. Darunter auch der drittgrößte Stoßzahn der Welt mit Abmessungen von über vier Metern. Auch Skelettreste vom Menschen wurden in der Höhle entdeckt. Ein Fragment, das auf ein Alter von 10.400 Jahren datiert wurde, gilt als einer der ältesten Nachweise von modernen Menschen in Westfalen.
Erst viel später entstand freilich die kleine Ansiedlung an den Ufern der Hönne, aus der schließlich Balve wurde. Im Jahr 864 erstmals erwähnt, entwickelte sich aus verstreuten Höfen eine Kleinstadt, die in der Zeit ihres Bestehens dreimal durch Brände zerstört und wieder aufgebaut wurde. Eines der wenigen Häuser, das diese Katastrophen überstand, ist die Alte Vikarie St. Nikolai, ein Fachwerkhaus am Kirchplatz. Aus den Jahren 1835 bis 1854 stammt eine weitere wichtige Sehenswürdigkeit: die Luisenhütte. Als einzige Hochofenanlage dieser frühen Art in Mitteleuropa fungiert sie heute als technisches Kulturdenkmal.
Jährliches Spitzensport-Event
„Die Besonderheiten der Stadt Balve sind ganz klar die Balver Höhle als älteste Kulturhöhle Europas, das romanische Erbe in der Kirche St. Blasius Balve, die Luisenhütte und das Schloss Wocklum, aber auch die Reckenhöhle“, schildert Stephanie Kißmer, Geschäftsführerin des Balver Stadtmarketings. Die vormals kleine Stadt ist seit der Gebietsreform im Jahr 1975 weit über die ursprünglichen Stadtgrenzen hinaus gewachsen und beinhaltet heute die Ortsteile Beckum, Eisborn, Garbeck, Mellen, Langenholthausen und Volkringhausen. Der größte Ortsteil um die Lagen Wocklum und Sanssouci zählt etwa 5.260 Einwohner. Der kleinstädtisch geprägte Hauptort besteht aus dem historischen Zentrum sowie den angrenzenden Siedlungen, während sich ein Großteil der Gewerbebetriebe am nördlichen Stadteingang angesiedelt hat. Der Stadtkern mit vielen alten Gebäuden in Fachwerk- oder Bruchsteinbauweise zeigt sich beschaulich und übersichtlich; herausragend im wahrsten Sinne des Wortes ist lediglich die Pfarrkirche St. Blasius mit ihrer neoromanischen Oktogonkuppel.
Aufgrund der reizvollen umgebenden Landschaft und dem nahe gelegenen Sorpesee ist Balve ein bewährtes Naherholungsziel, das vor allem Tagesgäste aus den näher gelegenen Städten wie Hagen und dem Ruhrgebiet anlockt. Einmal im Jahr erweist sich die kleine Stadt jedoch als Magnet für Pferdesportfreunde aus ganz Deutschland und darüber hinaus: Das internationale Reitturnier Balve Optimum ist ein wichtiger Termin für die besten Spring- und Dressurreiter der Welt und zieht als echtes Spitzensport-Event jährlich bis zu 20.000 Besucher an. Eine ähnliche Besucherzahl erreicht inzwischen auch die jährliche „Landpartie“, eine Freiluft-Ausstellung, bei der vielfältige Produkte mit Bezug zum ländlichen Leben präsentiert werden. Beide Veranstaltungen finden auf der Anlage des Barockschlosses Wocklum statt, das etwa zwei Kilometer nordöstlich der Stadt im idyllischen Orletal liegt und sich im Besitz der gräflichen Familie von Landsberg-Velen befindet. Sie betrieb seinerzeit auch die Luisenhütte, die nur wenige Minuten Fußweg vom Schloss entfernt ist.
Wo der Hochofen glüht
Die liebevoll restaurierte Anlage fungiert heute als Erlebnismuseum, das die Produktion von Eisen und die Weiterverarbeitung zu Gussprodukten veranschaulicht. Schubkarren voller Eisenerz, Holzkohle und Kalkstein erwarten den Besucher, den Hochofen müssen die Gäste allerdings nicht selbst befüllen: Ein historischer Tonfilm zeigt, wie die Hüttenknechte diese anstrengende Tätigkeit einst verrichteten.
Auch der Abstich des Roheisens wird mit einer Lichtinszenierung und Hitzestrahlern simuliert, während das Wasserrad und die Dampfmaschine im Gebläsehaus noch ganz real funktionieren. Beim jährlichen Festival „Luise heizt ein“ sind darüber hinaus noch Bands und Performances dazu zu bestaunen.
Wer noch weiter in die Geschichte eintauchen will, muss wiederum nur wenige Schritte gehen: Im ehemaligen Wocklumer Stabhammer neben der Luisenhütte lädt das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Stadt Balve zu einer Zeitreise durch 400 Millionen Jahre ein. Unter dem Motto „Erdschätze – Menschenspuren“ gibt das Museum Einblicke in die abwechslungsreiche Natur- und Menschheitsgeschichte des Hönnetals – vom Devonzeitalter, als Balve noch im tropischen Flachmeer lag, bis zur Eisenerzeugung im Mittelalter.
Schlossgeschichten
Das barocke Wasserschloss Wocklum wird von der Familie von Landsberg-Velen bewohnt und ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Für ausgewählte Events wie Konzerte, Ausstellungen, Hochzeiten oder auch Filmproduktionen öffnen die Besitzer jedoch zuweilen ihre privaten Räume. Der altfränkische Ursprung des Wasserschlosses ist bis heute durch die Reste einer sächsischen Wallburg erkennbar. Im Jahre 1646 erwarb Dietrich Freiherr von Landsberg den Prachtbau, der im Laufe der Zeit mehrfach umgebaut wurde – unter anderem gestaltete dabei ein Kunstmaler einen fast 40 Meter langen Flur. Da Schloss Wocklum den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hat, ist das kostbare Interieur im Originalzustand erhalten. Eine besondere Präsentation erfährt die Anlage vom 15. bis zum 30. Januar: Im Rahmen der „Wocklumer Schlosslichter“ werden das Gebäude und der malerische Schlosspark mit aufwendigen Farbspielen und Lichtprojektionen inszeniert. Dazu gibt es ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm: Bei stimmungsvoller klassischer Musik erwacht die einstige höfische Atmosphäre zu neuem Leben.
Blick nach vorn
Natürlich kann und will auch Balve nicht nur in der Vergangenheit leben. „Wie in anderen Städten auch hat sich die Stadtentwicklung dem Wettbewerbsdruck zu stellen“, schildert Stephanie Kißmer. „Die Schärfung des eigenen Profils und die weitere Ausrichtung der Marke Balve erfordert immer wieder neue Ideen.“ Eine ziemlich gute war es, die Mammuts nach Balve zurückkehren zu lassen – und zwar nicht nur als Druckmotiv auf Briefbögen oder Plakaten, sondern in plastischer Form. Die formschöne Skulptur, die inzwischen in 40-facher Ausführung im Stadtgebiet verteilt die Blicke auf sich zieht, fungiert als Maskottchen und Stadtmarke zugleich. Waren die Tiere bei ihrer Ankunft im Sommer 2011 noch alle weiß, ist mittlerweile eine bunte Vielfalt entstanden, die das Balver Stadtbild bereichert. Viele ortsansässige Unternehmen, aber auch Privatpersonen haben ihre Mammuts mit viel Liebe und Kreativität gestaltet.
Um weitere Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln, wurde bereits 2013 ein Bürgerforum in Balve initiiert, um Stärken und Schwächen des Standorts zu diskutieren. Dabei stellte sich heraus, dass die Balver vor allem die intakte Nachbarschaft und das rege Vereinsleben in ihrer Stadt schätzen – man kennt sich eben. Auch Einzelhandelsangebote, die Grundversorgung mit sozialen Einrichtungen und die medizinische Versorgung schnitten weitgehend gut ab. Kritisch sahen die Teilnehmer hingegen den Zustand der Innenstadt: Zu wenig Aufenthaltsqualität, zu viel Leerstand, ein zu geringes Einzelhandels- und Dienstleistungsangebot – daran soll gearbeitet werden, damit Balve auch in 20 Jahren noch lebenswert ist. Die intensive Beteiligung an den Veranstaltungen und die zahlreich eingebrachten Ideen und Vorschläge zeugen von einem großen Interesse der Balver an ihrer Stadt. Die von Dialog und Mitwirkung geprägte Atmosphäre zeigt sich auch an anderer Stelle: „Auch Balve hat die aktuellen politischen Situationen aufzufangen und kann dabei auf die Mitarbeit von vielen ehrenamtlichen Helfern zählen. Das Wirken ist von einem ‚Wir-Gedanken‘ geprägt und funktioniert“, freut sich Stephanie Kißmer.