Einzug der natürlichen Gemütlichkeit

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(© LINVOSGES)

Die wiederentdeckte Naturverbundenheit

 

Das Bauen mit natürlichen Werkstoffen ist fast so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Archäologische Ausgrabungen führen die ersten nachgewiesenen Häuser in rechteckiger Bauform auf die Jungsteinzeit zurück, als Nomaden nach und nach sesshaft wurden. Damals dienten Materialien wie Lehm, Ton, Holz und Stroh dem Schutz vor Witterung, Kälte und Hitze. An der Funktionalität von Baumaterialien hat sich bis heute nichts geändert. Doch hochwertige Holzdielen oder fugenlose Betonböden, dekorative Keramikfliesen sowie Mauerwerk, Naturfasern und Natursteine prägen heute mehr denn je auch das Ambiente moderner Wohnräume. Die Verwendung echter Materialien mit reinem Charakter stillt dabei den tief im Menschen verwurzelten Wunsch nach einem Rückzugsort, der Geborgenheit und Ruhe ausstrahlt – insbesondere in unbeständigen Zeiten.

 

Textil

 

Ob bei Vorhängen, Teppichen, Decken oder
Kissen – die Nähe zur Natur wird auch im Textildesign immer wichtiger. Tonangebend sind Erdfarben, Grünschattierungen und Kontrastfarben wie Gelb, Orange und Blau. Weiche Materialien und fließende organische Formen bestimmen zudem optisch die Heimtextil-Trends 2022. Doch der Fokus auf die Natürlichkeit macht auch Platz für neue nachhaltige Materialien. Neben Leinen, Jute, Wolle, Cord, Samt, Bambus, Rattan und Holz halten Recycling-Stoffe aus Polyester sowie naturbelassenes Hanf, Kork und Papier Einzug in die Wohnbereiche. Als Alternativen zu tierischen Stoffen werden dabei immer häufiger natürliche Rohstoffe verwendet. So lassen sich mittlerweile aus Apfelresten, Ananas- oder Eukalyptusblättern, Pilzen und Kakteen vegetarische oder vegane Leder produzieren.

 

Facts

• Das lang bewährte schlichte skandinavische Design macht in Zeiten der neuen natürlichen Gemütlichkeit Platz für wärmere Farben mit schwereren Texturen aus mediterranen Regionen.


• Nachhaltigkeit spielt bei der Inneneinrichtung eine wichtige Rolle. Orientierung bei Heimtextilien und Bettwaren gibt das OEKO-TEX-Label.


• Pflanzen sind allzeit beliebte grüne Akteure im Wohnraum. Nun erobern sie auch in Form von Textiltapeten, Prints, Deko-Accessoires, Mooswänden oder Trockenblumen ihr neues Terrain.

 

 

Tipp

Die Farbe Grün hält in sämtlichen Schattierungen Einzug. Dabei stellen Blumendrucke und florale Muster im Stoffdesign eine elegante Verbindung zur Natur her.

 

Keramik

 

Traditionell handbemalt, geometrisch verziert oder im modernen Holz- oder Schiefer-Look: Fliesen sind wahre Verwandlungskünstler für jeden Raum. Als Ausgangsmaterialien dienen die natürlichen mineralischen Rohstoffe Lehm und Ton. Je nach geforderter Festigkeit, Witterungsbeständigkeit, Rutschfestigkeit oder Wasseraufnahmefähigkeit wird die Zusammensetzung weiterer Naturstoffe, der Körnungsgrad und die Brenntemperatur – zwischen 800 °C
und 1.200 °C – angepasst. Der Baustoff punktet neben seiner vielfältigen Dekoroptik mit inneren Eigenschaften: Vom Mosaik bis zum XXL-Format sind Keramikfliesen frei von gesundheitsschädlichen Ausdünstungen, pflegeleicht und hygienisch. Feuerfeste Keramik kommt daher auch als Geschirr oder Sanitärkeramik zum Einsatz. Bevor sie im Mittelalter über die Handelswege ihren Siegeszug nach Europa antraten, schätzten bereits die Menschen im Orient und im antiken Rom das nachhaltige Baumaterial.

 

Facts

 

• Keramikfliesen können Wärme speichern und leiten, weshalb sie sich besonders gut für Fußbodenheizungen eignen und Heizenergie sparen – auf Wasserbasis dienen sie im Sommer sogar als Klimaanlage.

 


• Auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2045, wird auch in der keramischen Industrie an neuen Herstellungsmethoden geforscht, die z. B. den Brennvorgang ersetzen. Als ein vielversprechender Ansatz gilt ein Pressvorgang bei Raumtemperatur und hohem Druck. Das Verfahren könnte auch abgeschiedenes CO? langfristig in
Keramikprodukten binden.

 

Tipp

Wandfliesen punkten optisch mit geometrischen Mustern oder floralen Motiven. Die Wirkung im Wohnraum hebt sich zusätzlich durch die mineralische Zusammensetzung von dem Raumambiente einer klassischen Tapete ab.

 

 

Stein

 

Steine sind wahre Alleskönner in der Wohnraumgestaltung. Mamor, Schiefer, Kalkstein, Muschelkalk oder Granit kommen als Bodenbelag, Wandverkleidung wie auch in Form strapazierfähiger Arbeits- und Tischplatten  und Treppenstufen zum Einsatz. Das feuerfeste massive Naturmaterial punktet mit reiner Authentizität und nachhaltigem Charakter. Gewonnen werden die Bruchplatten ohne chemische Hilfsmittel in großen Steinbrüchen – meist innerhalb Europas. Dabei gleicht kein Stein dem anderen. Bei der Weiterverarbeitung kommt das traditionelle Steinmetzhandwerk zum Tragen. Natursteine gelten als die Edelsteine unter den Baumaterialien. Sie sind Unikate und stehen für natürlichen Luxus, der sich durch seine Schlichtheit auf das Wesentliche konzentriert. Da sie im Winter Wärme speichern und im Sommer Kühle abgeben, sorgen sie für ein angenehmes Raumklima.

 

Facts

 

• Nach Schätzungen des Deutschen Naturwerkstein-Verbands (DNV) gibt es bundesweit noch 200 bis 250 aktive Brüche.

 


• Die bekanntesten Gesteine: Granit, Basalt, Diabas, Kalkstein, Sandstein, Dolomit und Marmor

 


• Bruchsteine verschönern in allen Größendimensionen den Wohnraum – von der geputzten Bruchsteinwand bis hin zum Natursteinboden als XXL-Platte.

 


• Natursteine lassen sich mit vielen anderen Materialien kombinieren, z. B. Holz, Glas, Eisen oder Metall.

 


• Handwaschbecken sowie Wohn- und Badaccessoires aus handwerklich gefertigten Natursteinen sind wahre Unikate.

 

Tipp

Im Zuge des nachhaltigen Bauens rücken Natursteinböden, Küchen-Arbeitsplatten oder massiver Mamor im Badezimmer  wieder stärker in den Fokus von Architekten und Inneneinrichtern.

 

Glas

 

Quarzsand, Kalk und Soda sind die wichtigsten Rohstoffe für die Glasherstellung. Im Schmelzofen werden die in der heimischen Natur vorkommenden Zutaten bei ca. 1.500 °C erhitzt bis sie sich verbinden. Der Vorteil von Glas ist seine Formbarkeit, die Fähigkeit zur Wärmespeicherung sowie die materialtypische Transparenz. Als natürlicher Werkstoff lässt sich Glas zudem vollständig recyceln. Bereits im alten Ägypten wurden der Überlieferung nach Trink- und Aufbewahrungsgefäße aus Glas verwendet. Einen weiteren Siegeszug trat der Baustoff bei Fenstern, Türen und Wintergärten an. Bereits um das Jahr 1.000 n. Chr. wurden die ersten Wohnhäuser mit Fensterglas ausgestattet. Gleiches taten die Römer in ihren Thermen. Da das Material ein großes Innovationspotenzial besitzt, spielt sein Einsatz heute auch bei der Solarstromerzeugung, im Bereich Smart Living und der Digitalisierung eine Rolle.

 

Facts

 

• Glas ist im physikalischen Sinn kein Festkörper, sondern eine
erstarrte Flüssigkeit.

 


• Metalloxide färben Glas bunt. Rubinrotes Goldpurpur ist dabei eine der teuersten Glasfärbungen der Welt. Sie entsteht, indem Gold zuvor in Königswasser (Gemisch aus konzentrierter Salzsäure und konzentrierter Salpetersäure) aufgelöst wird.

 


• Erste Spiegel aus Glas mit Metallhinterlegung entstanden vermutlich schon im 4. Jahrhundert. Danach ging das Wissen zusammen mit dem Römischen Reich bis ins Mittelalter verloren.

 


• Zeugnisse der Glasmalerei mit farbigen Ornamenten gehen auf das 6. Jahrhundert zurück. Als erste große Blütezeit gilt jedoch die Gotik ab Mitte des 12. Jahrhunderts.

 

Tipp

 

Bodentiefe Fenster oder Wintergärten lassen den Innen- und Außenbereich verschmelzen. Für Privatsphäre kann intelligentes Glas auf Knopfdruck blickdicht verdunkelt werden, indem elektrische Spannung auf eine Spezialfolie wirkt.

 

Lehm

 

Jahrhundertelang wurde Lehm für die Errichtung von Fachwerkhäusern verwendet. Dann geriet er für längere Zeit ins Abseits. Heute dringt der ökologische Baustoff jedoch wieder ins nachhaltige Bewusstsein zurück. Ob als Baumaterial für den Hausbau oder als Wandputz zur Gestaltung der Wohnräume – Lehm punktet mit zahlreichen positiven Eigenschaften und eignet sich besonders für Allergiker. Denn Lehmschichten haben einen feuchtigkeitsregulierenden Effekt auf die Raumluft. Zudem dient er als Wärmespeicher und natürliche Klimaanlage, filtert und bindet Schadstoffemissionen, Gerüche und Feinstaub, dämmt Schall und ist nicht brennbar. Lehmputz besteht aus Ton, Sand und Schluff (Feinstsande). Er kommt gänzlich ohne künstliche Zusatzstoffe aus und härtet allein durch Verdunstung physikalisch aus.

 

Facts

• Lehm ist das älteste Baumaterial der Welt. Die Grundzutaten kommen nahezu überall vor, weshalb der Baustoff häufig regional und mit geringem Energieaufwand aufgearbeitet werden kann.

 


• Lehmbaustoffe lassen sich rückstandslos und beliebig oft recyclen, wodurch sie eine besonders positive Ökobilanz haben.

 


• Lehm sorgt für eine konstante Luftfeuchtigkeit und hält diese durchschnittlich bei 50 Prozent. Selbst kleine Lehmflächen verbessern nachweislich das Raumklima.

 


• Lehm kommt bereits von Natur aus in zahlreichen Farben vor. In Kombination mit Lehmstreichfarben, Naturlacken oder Kreidefarben lässt sich ein wohngesundes und schadstofffreies Zuhause herrichten.

 

Text | Melanie Heider