Nachgefragt: Wie sinnvoll ist eigentlich EMS-Training?

Interview mit Prof. Dr. Thomas Rieger, Dekan des Fachbereichs Sport, Medien & Event der University of Applied Sciences Europe in Iserlohn.

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TOP: Herr Prof. Dr. Thomas Rieger, zweimal 20 Minuten Training pro Woche und nach einem halben Jahr ist der Körper fit, so lautet das Versprechen von EMS-Training-Anbietern. Wie realistisch ist das?

Prof. Dr. Thomas Rieger: EMS steht für Elektromyostimulation und bedeutet, dass Muskelkontraktionen durch niederfrequenten Strom -also von außen – ausgelöst werden. Muskeln werden zur Arbeit aktiviert. Das ist zunächst einmal gut, da Muskeln das wichtigste Stoffwechselorgan unseres Körpers sind und durch sie wichtige gesundheitsrelevante Prozesse gesteuert werden. In der Forschung zum EMS-Training zeigen sich eher kontroverse Ergebnisse bspw. in Bezug auf Muskel- und Kraftzuwachs. Angesichts der Studienlage ist somit davon auszugehen, dass das EMS-Training durchaus seine Berechtigung hat. Jemand der seine allgemeine Fitness steigern möchte und gesund bleiben will, sollte sich jedoch an den allgemeinen Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der sportwissenschaftlichen Institutionen orientieren.

 

Demnach sollten Erwachsene in der Woche mindesten 150 Minuten Ausdaueraktivitäten (z.B. Laufen, Walking, Radfahren oder Schwimmen) mit moderater Intensität ausführen. Zusätzlich empfiehlt sich zweimal die Woche ein muskelkräftigendes Training in Form eines Krafttrainings, welches durchaus durch eine EMS-Variante abgedeckt werden könnte. Ein Nachteil der EMS-Methode besteht allerdings darin, dass nicht alltagsnah trainiert wird, also keine Kräftigung durch alltagsnahe Bewegungen erzielt wird. Schließlich wollen wir doch alle möglichst lange in der Lage sein, unsere Einkaufstüten in den dritten Stock oder einen schweren Gegenstand in das oberste Schrankregal legen zu können.

 

TOP: Bislang setzen die meisten Fitnessstudios nach wie vor auf Geräte und Kurse statt auf EMS. Woran liegt das?

Prof. Dr. Thomas Rieger: Das liegt daran, dass ein gerätegestütztes Kraft- und Ausdauertraining durch jegliche andere Form des Trainings nur schwer zu ersetzen ist. Beim Ausdauertraining gelingt das noch am ehesten, da hierfür nur geringe Intensitäten benötigt werden, die – wie beim Jogging oder Walking – sehr gut auch an der frischen Luft und durch das eigene Körpergewicht ausgelöst werden können. Beim Krafttraining ist das schwieriger. Hierfür sind Widerstände, sprich entsprechende Reize in möglichst alltagsnahen Bewegungen notwendig, um Muskulatur funktionell zu kräftigen. EMS-Training bleibt somit eine durchaus sinnvolle Ergänzung des herkömmlichen Trainings.

 

TOP: Die Kosten für EMS liegen zwischen 20 und 335 Euro pro Trainingseinheit. Muss EMS so teuer sein?

Prof. Dr. Thomas Rieger: Durchaus. Wer bereits einmal ein EMS-Training absolviert hat, weiß, dass es sich um eine Art Personaltraining handelt. Man trainiert in der Regel in einem 1-zu-1 Ansatz mit dem Trainer. Preise für herkömmliches Personaltraining bewegen sich in einem vergleichbaren Preisspektrum.

 

TOP: Inwieweit wird EMS im Profisport eingesetzt? 

Prof. Dr. Thomas Rieger: Der Profisport macht sich vielfach einen anderen Vorteil der EMS zunutze. Niedrigintensive Muskelkontraktionen fördern die Durchblutung. Eine gut durchblutete Muskulatur kann schneller und somit effizienter regenerieren. EMS-Training wird also stellenweise im Regenerationsmanagement von Athleten eingesetzt. Ein leider viel zu lange vernachlässigter, aber entscheidender Baustein. Nach einem schweren Champions League-Spiel am Mittwoch, sollten die Spieler am darauffolgenden Bundesligaspiel am Samstag wieder genau so leistungsfähig sein. Eine EMS-Anwendung kann hier einen sehr sinnvollen Beitrag leisten.

 

TOP: Wo kommt dieses Verfahren auch für Otto Normalverbraucher an seine Grenzen?

Prof. Dr. Thomas Rieger: Wenn, wie oben beschrieben, ausschließlich über EMS agiert wird. Je alltagsnäher das Training, desto sinnvoller. Es sei denn, es liegen gesundheitliche Einschränkungen, wie bspw. eine Verletzung vor.

 

TOP: Woran erkenne ich einen guten EMS-Anbieter? 

Prof. Dr. Thomas Rieger: Eine sehr gute Orientierung bietet die DIN-Norm 33961. Sind EMS-Anbieter mit dieser Norm zertifiziert sind die Qualitätsstandards hoch.

 

TOP: Gibt es EMS auch für Zuhause? 

Prof. Dr. Thomas Rieger: Ja. Es gibt bereits seit geraumer Zeit einige mobile EMS-Geräte, mit denen ich Muskelgruppen gezielt trainieren lasse. Klebeelektroden werden auf den jeweiligen Körperpartien platziert. Die Programmvielfalt ist ansprechend und variiert nach Intensität. So gibt es sowohl spezielle Programme für Muskelaufbau als auch für Anti-Muskelkater oder Entspannung.

 

TOP: Im Discounter sind regelmäßig Vibrationsplatten im Angebot, die beim Abnehmen helfen sollen. Funktioniert das?

Prof. Dr. Thomas Rieger: Abnehmen ist dauerhaft nur möglich, wenn weniger Energie (Kalorien) konsumiert als verbraucht wird. Jegliche Form der Bewegung erhöht den Energieverbrauch und verbessert somit die Rahmenbedingungen für Gewichtsverlust.