Challenge yourself
Fünf Mikroabenteuer vor der eigenen Haustür
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Doch was unterscheidet ein Mikroabenteuer von einem ausgedehnten Sonntagsspaziergang? „Challenge yourself“, sagt der Brite Alastair Humphreys, der den Trend ins Leben gerufen hat. Fordere dich heraus. Wage etwas Ungewöhnliches. Auf jeden Fall draußen, vielleicht sogar in der „Wildnis“, im Zweifel auch im eigenen Garten. Sei spontan, leg einfach los. Nach Feierabend oder am Wochenende. Zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der Bahn. Das Auto bleibt allerdings stehen. Auch Flüge sind nicht erlaubt. So wollen es die Spielregeln. Wer länger als einen Tag unterwegs ist, übernachtet draußen, unter freiem Himmel.
„Mikroabenteuer sind eine hervorragende Möglichkeit, die Kraft des Abenteuers auch im Alltag zu nutzen“, schreibt Christo Foerster, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Trend auch im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Unter dem Motto „raus und machen“ verbreitet er seine eigene Mikroabenteuer-Philosophie, berichtet von unvergesslichen Erlebnissen und liefert einen Rucksack voller Inspirationen. Wem dann und wann die Decke auf den Kopf fällt, findet im World Wide Web unzählige Idee für kleine und große Outdoor-Herausforderungen. Manche richten sich eher an ambitionierte Abenteurer. Andere sind so banal, dass wir uns fragen, warum wir nicht längst drauf gekommen sind. Warum also warten? Heute ist ein guter Tag für ein kleines Abenteuer!
Text: Hannah Scosceria
HÖHENLUFT SCHNUPPERN
Besteige die höchste Erhebung des eigenen Bundeslandes, fordert Christo Foerster seine Follower heraus. Analog zu den sieben Summits, den höchsten Bergen der sieben Kontinente, liefert er gleich eine Liste der 16 Summits Deutschlands mit. Das Gipfelkreuz des NRW-Spitzenreiters „Langenberg“ im Sauerland steht bei 843,2 Metern. In der Liga der 800er gibt es im Hochsauerland neben dem höchsten Berg aber noch 13 weitere Gipfel, zum Beispiel den Kahlen Asten in Winterberg (842 Meter) oder die Willinger Kulthügel Ettelsberg (838 Meter, Hochheideturm, Siggi’s Hütte) und Mühlenkopf (825 Meter, Weltcup-Skischanze) zu erklimmen. Ein Tagesausflug – mit öffentlichen Verkehrsmitteln wohlgemerkt – wäre für diese Erhöhungen ambitioniert, wenn man aus entfernteren Orten anreist. Die Spielregeln würden hier also eine Übernachtung unter freiem Himmel vorsehen. Aber hey: Immerhin leben wir nicht in Bayern, mit der Zugspitze vor der Haustür.
Tipp für Sauerländer, die mal raus wollen: Nach der Shoppingtour in Köln oder Bonn einfach weiter in die Eifel. Der „Weiße Stein“, eine etwa 690 Meter hohe Erhebung liegt innerhalb des deutsch-belgischen Naturparks Hohes Venn-Eifel, nahe der Gemeinde Hellenthal im Kreis Euskirchen.
NEUE PFADE
Dieses Mikroabenteuer für Einsteiger startet mit einer Straßenkarte des eigenen Wohnorts. Am besten einer analogen, die sich morgens nach dem Frühstück auf dem Küchentisch ausbreiten lässt. Wer einen Zirkel hat, malt nun einen kleinen oder auch etwas größeren Kreis um sein Zuhause. Ein Glas tut es natürlich auch. Anschließend ein bisschen Proviant einpacken und einfach loslaufen, entlang der eingezeichneten Linie. So weit wie möglich. Die üblichen Ausflugsziele liegen wahrscheinlich nicht auf der Route, dafür vielleicht die ein oder andere weniger schöne Ecke. Dennoch wird es unheimlich spannend sein, die vertraute Umgebung mit anderen Augen zu betrachten. Dinge zu entdecken, die einem vorher nicht aufgefallen sind. Bekannte Orte intensiver wahrzunehmen.
Mikroabenteuer wie diese lassen sich beliebig variieren. Christo Foerster schlägt zum Beispiel vor, einfach loszuwandern und an jeder dritten Kreuzung im Wechsel rechts und dann wieder links abzubiegen. Am Ende des Tages geht es mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder nach Hause.
SCHLAFEN UNTERM STERNENHIMMEL
Variante für Anfänger: Übernachten im eigenen Garten oder auf dem Balkon. Natürlich ohne Zelt. Dafür vielleicht mit Lagerfeuer und Stockbrot? Und dann: eingehüllt in einen Schlafsack die Sterne betrachten. Die Chance, eine Sternschnuppe zu erhaschen, ist übrigens am 12. August 2021 besonders hoch. Dann erreicht der Meteorstrom Perseiden seinen Höhepunkt.
Wem etwas abenteuerlicher zumute ist, schlägt sein Nachtlager „in freier Wildbahn“ auf. Gerne an einem Ort mit möglichst geringer Lichtverschmutzung. Dann lassen sich Sterne und Milchstraße besonders gut beobachten. Der erfahrene Mikroabenteurer schwört auf eine Hängematte. Im Wald zwischen zwei Bäume gespannt … – fertig ist der Schlafplatz in der Natur.
Bitte beachten: Das Zelten außerhalb ausgewiesener Campingplätze ist in Deutschland verboten. Beim Übernachten ohne Zelt unter freiem Himmel handelt es sich jedoch um eine Grauzone. Für eine Nacht wird es in der Regel geduldet. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, fragt bei der örtlichen Forstbehörde oder beim jeweiligen Grundstücksbesitzer nach.
Ob wir uns ein solches Abenteuer überhaupt zutrauen, ist eine ganz andere Frage. „Das Thema Angst ist ein sehr präsentes, wenn es um das Draußen-Schlafen geht“, weiß Christo Foerster. Für ihn überwiegt jedoch das überragende, magische Freiheitsgefühl. In seinem Praxisbuch widmet er dem Thema ein ganzes Kapitel und geht auf mögliche Gefahren, die richtige Ausrüstung und rechtliche Grundlagen ein.
ENDSTATION UNGEWISS
Viele Sauerländer pendeln täglich mit Bussen und Bahnen zur Arbeit oder in die Schule. Warum nicht nach Feierabend bzw. Schulschluss einfach mal sitzenbleiben, bis zur Endstation fahren und dort auf Entdeckungstour gehen. Was es dort zu entdecken gibt? Keine Ahnung! Hinfahren und nachschauen.
Wer mag, macht ein Glücksspiel draus. Startpunkt ist die Haltestelle vor der eigenen Haustür. Der Wurf einer Münze entscheidet die Richtung, ein Würfel die Anzahl der Haltestellen. Am Bahnhof kann die Auswahl der Gleise entsprechend auch erwürfelt werden. Dann heißt es: in die nächste Bahn steigen, Haltestellen zählen, raus und von wo auch immer wieder nach Hause laufen. Je nach Würfelglück wird es ein kurzer Spaziergang oder eine längere Wanderung. Auf jeden Fall lässt sich so ganz unkompliziert jede Menge Neues entdecken.
MIT SACK UND PACK
Wer hat schon mal an einem Fluss oder See gestanden und sich gefragt, ob er es schwimmend ans andere Ufer schafft? Christo Foerster hat den Versuch gewagt. Aber nicht einfach so, sondern mit Gepäck. Gemeinsam mit einem Freund fährt er nach Andernach. Von dort geht es zu Fuß an den Laacher See, den größten Vulkansee Deutschlands. Aus herumliegenden Stämmen und mithilfe einer mitgebrachten Klappsäge bauen sie ein kleines Floß, zurren ihr Gepäck darauf fest und lassen es zu Wasser. Einer zieht das Floß mithilfe einer Schlaufe, der andere schiebt von hinten. So schwimmen die Freunde raus auf den See, der aus dieser Perspektive viel größer wirkt als vom Ufer. Zweieinhalb Kilometer sind es bis auf die andere Seite, etwa zwei Stunden dauert die Durchquerung.
Ein Mikroabenteuer für Fortgeschrittene, keine Frage! Zum Nachmachen? Bitte nicht! Immerhin ist das Schwimmen im Laacher See nur an der vorgesehenen Badestelle erlaubt. Das hat Christo Foerster allerdings erst im Nachhinein erfahren. „Ich halte es für sehr wichtig, Vorschriften einzuhalten, gerade wenn es darum geht, die Natur zu schützen“, schreibt er in seinem Buch. Auf jeden Fall darf Christo Foersters Erfahrungsbericht jedoch als Inspiration dienen. Zum Beispiel dafür, ein natürliches Gewässer von A nach B zu durchqueren. Oder dafür, ein Transportfloß zu bauen, welches das eigene Gepäck auch tatsächlich trägt.
Grundsätzlich gilt natürlich, die eigenen Kräfte sowie mögliche Gefahren realistisch einzuschätzen. Christo Foerster und Konsorten machen bewusst herausfordernde Vorschläge. Die Durchführung geschieht ausdrücklich auf eigene Verantwortung. Wie tollkühn das kleine Abenteuer sein darf, bleibt letztlich jedem selbst überlassen. Wichtig ist bloß, einfach mal etwas Neues zu wagen. Also: raus und machen!
Top-Lesetipp
Mikroabenteuer – Das Praxisbuch
Autor: Christo Foerster
Verlag: HarperCollins
ISBN: 978-3-95967-404-1
Preis Taschenbuch: 10 Euro