Wut im Bauch:
Aggressionen als Botschaften erkennen
(Foto: © andranik123 – stock.adobe.com)
Manchmal sind es auf den ersten Blick ganz unscheinbare Taten oder Worte, die einen von jetzt auf nachher so richtig auf die Palme bringen können. Die daraufhin mitunter schnell aufschäumende Wut im Bauch ist dann nicht selten der Auslöser für heftige Überreaktionen, die alles nur noch schlimmer machen. Ignorieren sollte man seine Wut auf keinen Fall, doch Zurückhaltung bringt einen in der Regel viel weiter. Das Geheimnis liegt darin, die große Erregung für sich positiv zu nutzen. Und das kann man lernen.
Zuerst ist es vielleicht ein eher unkonkretes Gefühl, eine Art Unwohlsein oder eine nicht definierbare Unruhe, bevor sich das Gefühl als klare Aggression äußert und Fäusteballen, Verkrampfung oder Wut im Bauch hervorruft. Wann immer sich ein solches scheinbar negatives Gefühl regt, ist es wichtig, dieses zunächst ganz neutral als ein Signal dafür zu werten, dass etwas in unserer unmittelbaren Umgebung nicht so läuft, wie wir es erwarten beziehungsweise wünschen. Auslöser können dabei so vielfältig sein wie die Lebensentwürfe der einzelnen Menschen, ihre Beziehungen oder ihr Lebens- und Berufsalltag. Weshalb Aggressionen ja auch in allen Lebenslagen auftauchen können, mal mit einem gewissen Vorlauf sich ankündigend, manchmal aber auch ganz explosionsartig – wenn die ersten Anzeichen längere Zeit verdrängt wurden und dann ein Tropfen das berühmte Fass zum Überlaufen bringt.
Gut zu wissen ist, dass diese Art der Aufregung wichtige Informationen über einen enthält. Aber nicht etwa darüber, wie man mit diesen Aggressionen umgeht, also eher aufbrausend reagiert oder beherrscht ist. Nein! Wut im Bauch heißt ganz konkret: Da stimmt was nicht! Das kann die selbst festgelegte Messlatte sein, an deren Niveau man nicht herankommt, oder ein Mensch im direkten Umfeld, der persönliche Grenzen überschreitet bis hin zur Erwartungshaltung anderer, die man glaubt erfüllen zu müssen. Das Level der Aggression ist dabei wie ein Gradmesser für ein authentisch gelebtes Leben: Je mehr die Lebensgestaltung im Einklang mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen steht, desto seltener kommt das Gefühl der Wut auf.
Konstruktiv mit den aggressiven Impulsen umgehen
Rückzug an einen ruhigen Ort, und sei es nur für ein paar Minuten, ist der Anfang einer jeden erfolgreichen Bewältigung aufflammender Wutgefühle. Tief durchatmen und das Gefühl zunächst einmal bewusst wahr- und annehmen sind die Basis, auf der ein konstruktiver Umgang damit gelingen kann. In einem nächsten Schritt kann man über Fragestellungen dem Auslöser und der Ursache auf den Grund gehen. Fragen wie zum Beispiel: Was entspricht gerade nicht meinen Erwartungen und inwiefern? Welche Enttäuschung erlebe ich? In welcher Weise verhalten sich andere nicht nach „meinen Regeln“, so dass mich das aufregt?
Und wenn die Wut vom Gefühl der Trauer begleitet wird, dann sollte man sich vielleicht fragen: Was bedrückt mich? Warum fühle ich mich verletzt? Da neben dem Gefühl der Trauer auch Frustration über das Verhalten anderer Personen ein Auslöser sein kann, gilt es zu reflektieren, ob man seine Bedürfnisse oder Erwartungen den anderen gegenüber vielleicht nicht klar formuliert oder gar nicht kommuniziert hat. Bei all diesen Überlegungen zum Wutgefühl und seinen möglichen Ursachen ist eine wichtige Botschaft, dass man sein Leben durchaus nach seinen Wünschen führen darf. Dafür ist es wichtig, diese zu kennen, zu benennen und in der entsprech-
enden Umgebung den anderen gegenüber auch zu kommunizieren. Ziel sollte es immer sein zu formulieren, was man braucht.
Eine besondere Konstellation ergibt sich, wenn man herausgefunden hat, dass die Aggression Indikator eines Machtkampfes ist. Das muss nicht zwangsläufig nur im beruflichen Umfeld vorkommen. Machtkämpfe existieren in allen Lebensbereichen und gehören beispielsweise auch zu den natürlichen Entwicklungsschritten in der Phase des Erwachsenwerdens. Egal, ob es um die Auseinandersetzung mit dem Kollegen, dem Chef, dem Partner oder dem eigenen Kind geht, die Fragen lauten letztlich gleich: Was will ich gewinnen? Welchen Zweck soll meine Aggression erfüllen? Wie möchte ich am Ende dastehen, wofür möchte ich mir Gehör verschaffen? Was möchte ich kontrollieren? Wovor habe ich Angst, wenn ich nicht aggressiv werde? Möchte ich vielleicht Distanz zum Gegenüber aufbauen? Oder das Einhalten bestimmter moralischer Werte etablieren?
Hilfreich im Umgang mit diesem Fragenkomplex und im Besonderen bei der Auseinandersetzung mit Jugendlichen, was ja letztlich im besten Fall auf ein konstruktives Gespräch mit dem anderen abzielt, ist dabei ein erstes Sortieren der Überlegungen in drei Kategorien: nicht verhandelbare Wünsche und Ansichten, Wünsche und Haltungen, über die man diskutieren beziehungsweise sich austauschen sollte, sowie Wünsche und Standpunkte, bei denen man eigentlich doch dem anderen das Feld überlassen kann.
Wohin mit Adrenalin und Co?
In ganz unterschiedlicher Art und Weise kann sich das Wutgefühl im eigenen Körper etablieren. Und meist verfliegt es nicht so leicht, wie es gekommen ist. Ganz im Gegenteil. Zur konstruktiven gedanklichen Auseinandersetzung mit Auslöser und Ursachen des unangenehmen Gefühls gehört deshalb in gleichem Maße auch die Betrachtung der körperlichen Seite des Phänomens. Das hohe Erregungsniveau sollte auf konstruktive Weise wieder abgebaut werden. Dabei stehen so konträre Aktivitäten als Möglichkeiten zur Verfügung wie das Auspowern über intensive körperliche Betätigung zum Abbauen überschüssiger Energie und – genau das Gegenteil – regelmäßiges Meditieren oder andere, Achtsamkeit und Ausgeglichenheit einübende Körperübungen.
Ziel ist es immer, den eigenen Körper auf ein angenehmes Erregungsniveau herunterzufahren. Erst in einem solchen körperlichen Zustand ist auch ein Austausch mit derjenigen Person, die an der Aggressionsursache und damit unweigerlich auch an deren Lösung beteiligt ist, sinnvoll. Es ist allgemein bekannt, dass man sich in Rage schnell zu Äußerungen hinreißen lässt, die man später bereut. Auch Verletzungen kommen im erregten Zustand schnell über die Lippen. Das alles führt vom Wunsch nach Lösung weg vom Ziel. Deshalb bleibt die Grundregel: erst rausgehen, tief durchatmen, wenn möglich reflektieren und sich befragen. Wird dann ein Gespräch als notwendig erachtet, sollte man dafür seinen Adrenalinspiegel runtergefahren haben und mit konstruktiven Ich-Botschaften auf den anderen zugehen. Hilfreich kann auch ein Vorgespräch mit einem persönlichen Vertrauten, der besten Freundin, dem besten Freund, dem Partner oder der Partnerin sein.
Merke: Wut in sich hineinzufressen ist keine Lösung. Im Gegenteil, das kann auf Dauer krank machen. Deshalb ist es sinnvoll, den Informationsgehalt der Wut über die eigenen Bedürfnisse über Reflexion zu ergründen und dann sie dann abzubauen, ohne dabei anderen zu schaden. So wird die „Wut im Bauch“ zu einem starken Motor auf dem Weg zu mehr Lebenszufriedenheit.
Erste Hilfe gegen Wutanfälle
Wenn die Wut in einem hochkocht, tief durchatmet und
langsam bis 4 zählen, um so die Gedanken wieder
unter Kontrolle zu bringen und extreme Wut abzumildern.
Text: Merz Training, Ragnhild Struss, Gabriela Rothmund