Mittwoch, 24 April 2024

Muße zur Mäßigkeit

Essen hält Leib und Seele zusammen, doch so mancher schießt dabei über das Ziel hinaus. Wer Körper und Geist von unnötigem Ballast befreien will, übt sich am besten in Enthaltsamkeit.

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Foto: ©sewcream – stock.adobe.com

Das Fasten hat in vielen Kulturkreisen eine lange Tradition – allerdings erfolgte der Verzicht auf Nahrung bei weitem nicht immer freiwillig aus gesundheitlichen Gründen, sondern schlicht aufgrund von Lebensmittelknappheit gegen Ende des Winters. Wenn die Vorräte zu Ende gingen und die Natur noch nicht nachgelegt hatte, galt es, eine Zeitlang mit dem Nötigsten auszukommen. Grundsätzlich ist es für den menschlichen Organismus durchaus zumutbar, eine Zeitlang auf feste Mahlzeiten zu verzichten, und schon früh in der Geschichte der Medizin wurde die heilsame Wirkung des Fastens erkannt. Hippokrates riet zur Mäßigkeit in allen wichtigen Lebensbereichen, Naturärztin Hildegard von Bingen entdeckte die positiven psychischen Effekte des Nahrungsverzichts. Das heute verbreitete Heilfasten wurde von Dr. Otto Buchinger sen. im Jahr 1919 entwickelt. Der Fastende verzichtet dabei einige Tage komplett auf feste Nahrung; alle wichtigen Nährstoffe werden dem Körper stattdessen über die Getränke – täglich 2,5 bis drei Liter in Form von Mineralwasser, Früchtetees und Brottrunk – zugeführt.

 

Koffeinhaltige Getränke, Limonaden und Alkohol sind tabu, und auch auf Zigaretten sollte während der Fastenzeit verzichtet werden – schließlich geht es darum, die eigenen Sinne zu schärfen und Dinge wahrzunehmen, die im Alltag vernachlässigt werden. Die individuelle Leistungsfähigkeit nimmt dabei nicht etwa ab, sondern sogar eher zu. Fasten setzt Energien frei: Da der Körper keine Nahrung verwerten muss, werden innere Potenziale gehoben. So entsteht letztlich eine schärfere Wahrnehmung des eigenen Körpers – der Fastende erfährt ihn quasi auf ganz neue Art und Weise. Voraussetzung dafür ist die ernsthafte innere Bereitschaft, schlechte Gewohnheiten abzulegen und sich in Verzicht zu üben. Um ein Gespür für die Bedürfnisse des eigenen Körpers zu bekommen, ist ein gewisses Maß an Muße erforderlich: Fastende sollten daher berufliche wie private Stressfaktoren meiden und sich zu Beginn der enthaltsamen Zeit zwei oder drei freie Tage gönnen. So geben sie dem Körper Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Übrigens: Stimmungsschwankungen während der Fastentage sind ganz normal und legen sich von selbst wieder. Besonders am zweiten Fastentag macht sich häufig schlechte Laune breit. Dann gilt es durchzuhalten – denn am dritten Tag des Verzichts setzt oft ein emotionales Hoch ein.

 

Die Gewichtsreduktion, die infolge der verminderten Energiezufuhr ganz zwangsläufig stattfindet, kommt den Gelenken sowie dem Herz- Kreislauf-System zugute. Grundsätzlich geht es beim Fasten aber nicht darum, weniger Gewicht auf die Waage zu bringen, sondern um eine Einstellungsänderung hin zu einer gesundheitsbewussteren Lebensweise. Wer das Fasten mit einer intensiven inneren Einkehr verbindet, hat eine realistische Chance, sein Leben neu zu organisieren. Der Körper läuft während der Fastentage auf Sparflamme. Sobald er aber wieder die normalen Rationen erhält, bunkert er die überflüssigen Kalorien und legt Fettdepots an – ein Mechanismus aus Zeiten, in denen Nahrung nicht im Überfluss vorhanden war. Wer das angenehm leichte Körpergefühl der Fastentage erhalten will, muss leider dauerhaft daran arbeiten: Es kann nur konserviert werden, wenn eine langfristige Ernährungsumstellung auf ballaststoffreiche Mischkost mit komplexen Kohlenhydraten und wenig tierischen Fetten erfolgt.